Erdoğans Staatsbesuch in fünf Statements

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Berlin, 29.09.2018 – Fünf Deutsch-Türk*innen schätzen in fünf unterschiedlichen Statements den Staatsbesuch des türkischen Präsidenten Erdoğan ein:

Arif Koray Özbagci:

„Es war abzusehen, dass der Besuch des türkischen Staatspräsidenten für beide Seiten nicht reibungslos von der Bühne gehen wird. Die Belastungsprobe begann mit der Übergabe von 69 Namen von Terrorverdächtigen schon vor dem Besuch und endete mit der Eröffnung der Kölner Moschee komplett ohne deutsche Beteiligung.

Die Menschenrechtslage offen anzusprechen war genauso wichtig, wie über die Verbesserung der deutsch-türkischen Wirtschaftsbeziehungen zu sprechen, um die türkische Wirtschaftskrise zu überwinden. Dennoch war der Besuch bei all den Differenzen, die offenkundig wurden, eine Gelegenheit ins direkte Gespräch zu kommen und die Megaphon Diplomatie zu beenden. Neben weiteren protokollarisch niedrigeren Arbeitsbesuchen, braucht es mehr den je zivilgesellschaftliche Brücken, um die bilateralen Beziehungen weiter zu festigen.“

Merve Gül:

„Dialog und Verstärkung der bilateralen Beziehungen sind in einer globalen Gesellschaft immer gut. Die Türkei hat gemerkt, dass ihre Abschottungspolitik auf Basis ihrer antiwestlichen Haltung immensen Schaden verursacht hat. Der wichtigste Partner für die Türkei kann nur der Westen sein. Dass es zu Europa keine Alternative gibt, zeigt die jüngste Währungs- und Wirtschaftskrise. Die Türkei erfüllt sämtliche Voraussetzungen für einen Krisenstaat und darf Europa gerade deshalb als geopolitischer Partner nicht verloren gehen.  

Es ist mehr als bedauerlich und erschreckend, dass in diesem Rahmen immer wieder die Diskriminierungserfahrung der deutsch-türkischen Mitbürger durch die türkische Regierung instrumentalisiert und missbraucht wird, um die Massen hier in Deutschland zu emotionalisieren, polarisieren und mobilisieren. Der Bundesregierung ist in diesem Kontext zu raten, das Vertrauen in den Staat durch eine kompetente Besetzung der Ministerien und Behörden wieder zu gewinnen. Die staatliche Neutralität kann nur gewährleistet werden, wenn institutioneller Rassismus als Problem anerkannt und gegen diesen Maßnahmen ergriffen werden.“

Enes Mert:

„Ein türkisches Sprichwort besagt: „Menschen verstehen einander durch Sprechen, Tiere durch Schnüffeln.“ Es ist gut, dass miteinander gesprochen wurde. Erdogans Besuch ist sicherlich kein Durchbruch, er hat vor allem gezeigt, dass die Differenzen in der gegenseitigen Wahrnehmung zu Fragen von Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit bestehen bleiben.

Doch der Besuch war ein wichtiger Akt der Diplomatie. Denn Diplomatie bedeutet miteinander kommunizieren, um die Deutungshorizonte der Akteure zu verstehen. Nur dann kann ein Dialog auf Augenhöhe entstehen, der für die Verbesserung der bilateralen Beziehungen unentbehrlich ist. Zukunftsperspektivisch ist der deutsch-türkische Dialog deshalb wichtiger denn je, vor allem zivilgesellschaftlicher Art. Nur dort entsteht die institutionelle Triebkraft, der die bilateralen Beziehungen nachhaltig intensivieren und verbessern kann.“

Seher Ünlü:

„Dieser Staatsbesuch sollte alles andere als einfach werden: Weder für Bundeskanzlerin Merkel, noch für die inhaftierten deutschen Bürger*innen in der Türkei, deren einzige Möglichkeit dieser Dialog zu sein scheint. Und auch nicht für all jene, die diesem Besuch so kritisch gegenüberstanden, dass sie auf die Straßen gingen um zu protestieren oder als Abgeordnete des Bundestags dem Staatsbankett fern blieben.

Letztere Gruppe wünscht sich eine wesentlich deutlichere Sprache von der Bundesregierung, ein klares Zeichen gegenüber Erdoğan. Diese Kritik ist berechtigt und hat eine ehrliche Antwort der Bundesregierung verdient, die über die Aussagen bei der Pressekonferenz hinausgehen. Bei eben dieser wurde auch deutlich: Die größte Differenz besteht bezüglich der Behandlung derer, die in der Türkei inhaftiert sind. Der einzige Weg diese zu entschärfen oder ganz beizulegen, liegt im diplomatischen Dialog auf Augenhöhe. Dies und Merkels Versprechen, sich für die Interessen der türkischstämmigen Bürger*innen in Deutschland einzusetzen, sollte in Zukunft mit höchster Priorität verfolgt werden.“

M.K. Tayyib Demiroğlu:

„Das Interesse aneinander ist groß – die Emotionen scheinen noch größer. Bei aller offen demonstrierten Uneinigkeit: Der Staatsbesuch war dringend notwendig, um zu einer konstruktiven Zusammenarbeit zurück zu kehren. Wenn selbst während eines Staatsbanketts kritisch diskutiert wird, sollte spätestens jetzt der türkischen Delegation klar geworden sein, wie viel die scharfe Rhetorik und Inhaftierungen deutscher Staatsbürger in den letzten Monaten kaputt gemacht haben. Ein Handschlag zwischen den Kontrahenten Cem Özdemir und Recep Tayyip Erdoğan wäre unter anderen Umständen wohl undenkbar gewesen. Doch gerade dieser Handschlag zeigt, was beide Gesellschaften und die bilateralen Beziehungen stark macht: Austausch und Kritik auf Augenhöhe.

Was im Protokoll des Staatsbesuchs jedoch fehlte war eine Aussprache zwischen der deutsch-türkischen Community und beiden Staatsoberhäuptern, denn der Frust sitzt tief. Ohne die Beteiligung von Deutsch-Türken im offiziellen Programm blieb die Eröffnung der DITIB-Zentralmoschee die einzige Veranstaltung die in Richtung der deutsch-türkischen Community adressiert war. Daher ist der Ausschluss lokaler zivilgesellschaftlicher Akteure und Politiker nicht nur höchst unangebracht gewesen, sondern hat auch ein fatales Signal an die deutsch-türkische Community gesendet.“

 

Quelle Titelbild: Bundesregierung / Jesco Denzel