Solingen, 29. Mai 2018 – Kommentar von Seher Ünlü |
25 Jahre ist es her, dass fünf unschuldige Menschen aufgrund ihrer Herkunft und ihrer Identität ihr Leben lassen mussten und viele weitere schwer verletzt wurden. 25 Jahre ist es her, dass Gürsün İnce (27), Saime Genç (4), Hatice Genç (18), Hülya Genç (9) und Gülüstan Öztürk (12) an den Folgen eines Brandanschlags starben, der auf das Zweifamilienhaus in der westdeutschen Stadt Solingen, in dem sie mit weiteren Verwandten und Menschen türkischer Abstammung lebten, verübt wurde.
25 Jahre ist es her, dass Mevlüde Genç zwei Töchter, zwei Enkelinnen und eine Nichte verlor und sich seitdem trotz allem unermüdlich gegen Rassismus und für Versöhnung und ein friedliches Miteinander in Solingen einsetzt.
„Das ist nach dem, was Sie erleben mussten, wahrlich keine Selbstverständlichkeit. Mevlüde Genc kann Vorbild für jeden von uns sein, sich gegen Diskriminierung, Rassismus und Gewalt zu engagieren“ (Offizieller Facebook-Post Frank Walter Steinmeiers)
Die Gedenkfeier am heutigen Dienstag wird dieses Jahr in der Düsseldorfer Staatskanzlei stattfinden, da der nordrheinwestfälische Landtag sich gegen die Ausrichtung der Feier im Plenarsaal entschied. Grund dafür ist der bevorstehende Besuch und die Rede des türkischen Außenministers Mevlüt Çavuşoğlu. Genauer die Befürchtung, der Minister könne die Feier als Wahlkampfplattform für die anstehenden Wahlen am 24. Juni in der Türkei missbrauchen.
Lange ging es um die Frage, ob der türkische Minister geladen wird oder nicht, aber ist dieser Ministerstreit wirklich notwendig? Nein, findet Mevlüde Genç: „Es erfüllt mich mit tiefer Trauer, dass das Gedenken an den wichtigsten Tag meines Lebens von politischen Auseinandersetzungen überschattet wird.“ Die Entscheidung, Çavuşoğlu einzuladen sei bereits im Februar gefallen, einen direkten Zusammenhang zu den Wahlen herzustellen mache für sie also wenig Sinn. Auch in den letzten Jahren habe keiner der türkischen oder deutschen Repräsentanten beider Staaten auch nur ansatzweise daran gedacht, „die Gedenkfeier für die eigenen politischen Zwecke zu instrumentalisieren“. Sie habe also nicht die geringsten Zweifel daran, dass es dieses Jahr genauso sein wird.
Man wartet gespannt auf die Worte Çavuşoğlus. Auch aber gespannt darauf, was Bundeskanzlerin Angela Merkel sagen wird. Richtig, diesen 29. Mai wird sie dabei sein, wohl auch um ein leider wieder längst hinfällig gewordenes Zeichen zu setzen: Wir gehören zusammen. In einem Deutschland, in dem laut Statistischem Bundesamt 18 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund leben, ist kein Platz für Rassismus, Diskriminierung und rechte Parolen.
Diejenigen, die vor rund 60 Jahren nach Deutschland kamen um zu arbeiten, diejenigen, die hier Zuflucht suchen, diejenigen, die hier geboren wurden und werden, sie alle gehören dazu.
Die heutige Gedenkfeier in Solingen darf nicht überschattet werden vom türkischen Wahlkampf, von der Diskussion um die Zustände in der Türkei, von den gerade jetzt riesig erscheinenden Differenzen zwischen dem deutschen und dem türkischen Staat. Der heutige Tag gebührt allein dem Gedenken an die fünf jungen Frauen und Mädchen, die Opfer von Fremdenfeindlichkeit und Hass geworden sind. Die Inschrift des Solinger Mahnmals sollte für all die Bürgerinnen und Bürger Deutschlands, unabhängig von ihrer Herkunft, ein Appell sein:
„Wir wollen nicht vergessen.
Wir wollen nicht wegsehen.
Wir wollen nicht schweigen.
Viele Menschen in dieser Stadt erinnern
an die Opfer des Brandanschlages
vom 29. 05. 1993
Verbunden wie diese Ringe wollen wir
Miteinander leben“
Unutmadık, unutmayacağız.
Quelle Titelbild: Sir James [CC BY-SA 2.0 de], Wikimedia Commons