Vor dem nächsten EU-Gipfel im März wird händeringend nach einer diplomatischen Lösung für die Spannungen mit der Türkei im östlichen Mittelmeer gesucht. Doch für eine nachhaltige Lösung wird Diplomatie alleine nicht ausreichen. Wir benötigen eine neue zivilgesellschaftliche Initiative, um die Ursache für die Spannungen anzugehen.
München, 11.01.2021 von Tayyib Demiroglu – Seit einigen Tagen liegt das Pandemiejahr 2020 hinter uns und damit auch die deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Während Bundeskanzlerin Merkel auf dem letzten EU-Gipfel am 11. Dezember 2020 eine Einigung zum gemeinsamen Haushalt präsentieren konnte, herrschte zwischen den Staats- und Regierungschefs weiterhin Uneinigkeit über den Umgang mit der Türkei. Nach einem Jahr voller Spannungen im östlichen Mittelmeer vertagte sich der Gipfel auf den kommenden März.
So wurden vorerst nur geringfügige Sanktionen beschlossen, die sich gegen Einzelpersonen und Unternehmen richten, die an den umstrittenen Erdgasbohrungen der Türkei im östlichen Mittelmeer beteiligt sind. Vor dem Gipfel im März werden bereits ein Exportstopp für Rüstungsgüter an die türkischen Streitkräfte und wirtschaftliche Sanktionen diskutiert – wahrscheinlich in enger Abstimmung mit der neuen US-Administration unter Joe Biden.
Sanktionen werden das Problem nicht nachhaltig lösen
Zweifelsfrei würden Sanktionen der EU und des NATO-Verbündeten USA den Druck auf die türkische Regierung stark erhöhen. Ob sie die aufgeheizte Lage im östlichen Mittelmeer entschärfen können, ist hierbei fraglich. Klar ist jedoch, dass sie eine der wesentlichen Ursachen für die Spannungen verfehlen werden: Den Zypernkonflikt. Dieser steckt politisch in der Sackgasse und damit bleiben auch die Gebietsansprüche Nord- und Südzyperns bestehen.
Für eine nachhaltige Entspannung im östlichen Mittelmeer stellt sich daher die fundamentale Frage, wie sich türkische und griechische Zyprioten die Zukunft ihrer Insel vorstellen. Dabei spielt auch eine faire Verteilung der Erträge aus den Erdgasbohrungen zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen eine große Rolle. Weder EU-Sanktionen noch die von einigen EU-Staaten entsendete Kriegsschiffe werden dieses grundlegende Problem lösen.
Politische Initiativen für Wiedervereinigung Zyperns derzeit wenig aussichtsreich
Nachdem mehrere politische Versuche Zypern zu vereinigen gescheitert sind, macht es derzeit wenig Sinn, einen erneuten politischen Ansatz zur Wiedervereinigung der Insel zu starten. Dafür liegen die Interessen der Konfliktparteien derzeit zu weit auseinander.
Auf der Insel selbst würde eine Wiedervereinigung wahrscheinlich kaum eine Mehrheit der Bevölkerung erlangen. In den vergangenen Initiativen gab es in der griechischen Bevölkerung Zyperns keine Mehrheit für eine Wiedervereinigung. Der einseitige EU-Beitritt Südzyperns hat ebenfalls nicht dazu beigetragen einen Anreiz hierfür zu schaffen.
Auch im türkischen Teils Zyperns machte sich jüngst Pessimismus breit: Mit der Wahl von Ersin Tatar zum Präsidenten Nordzyperns am 18.10.2020 hat sich eine knappe Mehrheit der Bevölkerung Nordzyperns für eine stärkere Orientierung in Richtung Türkei ausgesprochen. Dies kann auch als knappes Votum gegen Ex-Präsident Akincis‘ Kurs verstanden werden, den Schulterschluss mit dem südlichen Teil Zyperns zu suchen.
Deutschlands Verantwortung für Zypern
Deutschland liegt zwar nicht am Mittelmeer, doch unsere Geschichte als geteilte Republik verpflichtet uns geradezu unseren Beitrag zur Lösung des Zypernkonflikts zu leisten. Auch durch unser Land verlief 41 Jahre lang eine Grenze. Doch während sich Deutschland wiedervereinigte, ist eine Lösung für den Zypernkonflikt auch 46 Jahre nach der Teilung nicht in Sicht. Damit bleibt Nikosia-Lefkoşa als letzte Stadt in Europa weiterhin durch eine Mauer geteilt – wie einst Berlin.
Keine andere Gesellschaft in Europa kann soviel von ihren persönlichen Erfahrungen zur Lösung des Zypernkonflikts einbringen wie wir. Dieses Kapital können wir zusammen mit unseren europäischen Freunden nutzen, um eine neue gesellschaftliche Initiative zu starten.
Eine neue Perspektive: Berlin-Cyprus Peace Forum
Nach den vielen gescheiterten politischen Initiativen zur Wiedervereinigung der Insel sollte klar sein: Bevor eine neue politische Initiative Erfolg hat, müssen die gesellschaftlichen Grundlagen im griechischen und türkischen Teil der zypriotischen Bevölkerung gelegt werden. Da sich der politische Konflikt derzeit in einer Sackgasse befindet, könnten zivilgesellschaftliche Akteure den Ball wieder ins Rollen bringen, um die Stimmen und Perspektiven der zypriotischen Zivilgesellschaft zu stärken.
Hierfür bietet es sich an, in Berlin ein Friedensforum als Format zu etablieren, das in regelmäßigen Abständen griechische und türkische Zyprioten aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen in die deutsche Hauptstadt einlädt, um ihnen einen „Safe Space“ für kontroverse, aber konstruktive Begegnungen zu bieten. Als Teil der einwöchigen Aufenthalte in Berlin könnten Besuche am Checkpoint Charlie, an der Gedenkstätte Berliner Mauer oder am Brandenburger Tor bei der ein oder anderen Teilnehmer*in wertvolle Denkanstöße auslösen.
Auch ein Austausch mit Zeitzeugen wäre von unschätzbarem Wert: Nicht nur für die zypriotischen Gäste, sondern auch für die west- und ostdeutschen Gesprächspartner: Ein besseres Format für eine gemeinsame Reflexion der Entwicklungen vor und nach der Wiedervereinigung ließe sich wohl kaum finden.
Ziel darf es dabei allerdings nicht sein, die deutsche Erfahrung einfach auf Zypern zu übertragen, sondern den Zyprioten die Chance zu geben, sich gemeinsam und umfassend mit den positiven wie negativen Erfahrungen der deutschen Wiedervereinigung zu beschäftigen und dabei die aktuelle Situation in Zypern zu reflektieren. Nach diesem ergebnisoffenen Austausch liegt es an den Zyprioten ihren – wie auch immer gearteten – eigenen Weg zu finden.
Plötzlich ging alles ganz schnell: Der Mauerfall
Ohne Frage eine solche gesellschaftliche Initiative alleine wird nicht ausreichen, den Zypernkonflikt zu lösen und die Mauern auf Zypern einzureißen. Doch ohne eine solche gesellschaftliche Initiative wird auf absehbare Zeit wohl auch keine politische Initiative erfolgreich sein. Wer weiß, vielleicht geht es am Ende doch schneller als gedacht? Die nächste griechische oder türkische Zentralregierung könnte aus realpolitischen Erwägungen jedenfalls die Chance ergreifen wollen, den Zypernkonflikt nachhaltig zu lösen. Vorausgesetzt die gesamtgesellschaftlichen Grundlagen auf Zypern wurden hierfür gelegt.
Quelle Titelbild: (C) Gedenkstätte Berliner Mauer